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Die Geschichte vom Rotwein bei Zimmertemperatur

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"Schatzi, bist du so nice und drehst die Heizung höher? Hier ist es eindeutig zu kalt." Charmant und hilfsbereit wie ich von Natur aus bin, folge ich dem Ruf und blicke beim Betreten des Arbeitszimmers kurz auf das Thermometer und mich lachen 24 Grad an.



"Warum müssen Männer immer solche Frostbeulen sein", frage ich mich. "Wenn ich ihm jetzt sage, dass es in seinem Zimmer schon jetzt sehr warm ist, wird er mir gewiss wieder einen Vortrag halten, dass sein Rotwein erst bei der korrekten Zimmertemperatur perfekten Genuss bietet. Aber, stimmt das wirklich? Ich kann mir nichts ungenaueres als Zimmertemperatur vorstellen. Welches Zimmer ist da gemeint, und zu welcher Jahreszeit herrscht die richtige Temperatur?", solche und ähnliche Gedanken gehen mir durch den Kopf.

Froh gelaunt - er wird sicher sagen, ich sei kratzbürstig - antworte ich ihm: "Hier ist es schon viel zu warm, außerdem müssen wir Energie sparen, wenn wir keine zu hohe Heizkostenabrechnung haben wollen." "Jetzt hab dich nicht so", tönt es aus seinem Mund, "wenn ich meine Rotweine verkosten möchte, brauche ich eben die richtige Zimmertemperatur."

Ich kann gar nicht anders, als zu erwidern: "Mein lieber Freund, verzeihe mir die Fragen. Wann ist ein Zimmer ein Zimmer und welche Temperatur ist maßgeblich? Die gefühlte oder die tatsächliche?," ich kann mir ein Grinsen dabei nicht verkneifen, dabei wollte ich total gelassen und tough rüberkommen. "Jetzt sei nicht wieder so spitzfindig", entgegnet er mir schmallippig, "wer von uns beiden ist schließlich der Weinkenner?"

"Weißt Du, ich möchte es wirklich gerne wissen. Gilt ein Zimmer als ein Zimmer, wie es in der Immobilienwelt üblich ist? Da zählen schließlich nur Wohn-, Schlaf-, Kinder- und Arbeitszimmer als ganze Zimmer. Die Küche und das Badezimmer hingegen nicht, außer es handelt sich um eine Wohnküche. Zudem müssen sie größer als 6qm sein, ansonsten sind es nur sogenannte halbe Zimmer. Und wenn ich schon einmal dabei bin, ist es ausschlaggebend in welchem Land oder zu welcher Jahreszeit die Temperatur in dem Zimmer gemessen wird? Und beeinflusst es nicht maßgeblich die Temperatur des Zimmers, wenn du beispielsweise genüsslich ein Glas Rotwein in der Badewanne liegend genießt?"

"Ernsthaft?", fragt er mich. "Du willst mich mit deinen albernen Fragen doch nur aufziehen." Seine Augen zeigen mir, dass er selbst zu zweifeln beginnt, ob die Zimmertemperatur wirklich ein verlässlicher Gradmesser ist. "Weißt Du", entgegne ich ihm. Du bist doch immer so genau, wenn es um Wein geht. Wie kannst du dich da auf eine so schwammige Faustregel verlassen?"

"Ich weiß gar nicht, was du jetzt von mir willst. Sage doch gleich, dass du Energie sparen willst, und dass es dir gar nicht wirklich um die richtige Trinktemperatur von Rotweinen geht."

"Hasi, ich möchte es wirklich verstehen. Lass uns das Zimmer außen vor lassen, wie sieht es mit der Temperatur aus? Wenn ich richtig informiert bin, dann ist die Grundeinheit für Temperatur im SI-System (Internationales Einheitensystem) Kelvin", lege ich nach."

"Hast Du sie noch alle? Wir in Mitteleuropa nutzen Celsius und das muss reichen," antwortet mein Freund angesäuert.

So, oder so ähnlich könnten Diskussionen verlaufen, nur weil es diese vermaledeite und nicht tot zu kriegende Faustregel des Rotweins bei Zimmertemperatur gibt. Da hilft es auch nicht viel, wenn in manchen Weinführern steht, dass die Zimmer früher kälter waren als in der heutigen Zeit. Da lauern direkt weitere Fragen, wie: Wann war früher und gab es nicht damals auch schon Kamine oder Öfen, um ein Zimmer behaglich zu heizen?

Ja, viele Rotweine werden sehr wahrscheinlich zu warm und viele Weißweine zu kalt getrunken. Für Menschen, die es ganz genau wissen möchten, gibt es Tabellen für die richtige Trinktemperatur von Weinen. Aber es gibt keinen Grund sich sklavisch an die Tabelle der Trinktemperaturen zu halten. Mein Rat an alle Weinfreund lautet daher: Du trinkst Wein nicht falsch, sondern genießt ihn auf deine eigene individuelle Art ;)

Warum ist die Trinktemperatur (so) wichtig?

Ganz einfach ausgedrückt, hat es mit der Aromenentwicklung der Weine sowie dem Geschmackerlebnis im Mund zu tun. Je kühler ein Wein ist, desto verhaltener riecht er und im Umkehrschluss gilt, dass ein Wein in aller Regel umso intensiver riecht, desto wärmer er ist.

Im Mund beeinflusst die Temperatur die einzelnen Inhaltsstoffe eines Weins. Säure, Gerbstoffe (Tannine) und Bitterstoffe treten bei kühleren Temperaturen deutlicher hervor. Da Weißweine in aller Regel säurereicher und zugleich gerbstoffärmer sind, können diese kühler getrunken werden. Die im Wein befindlichen Säuren werden nicht als störend, sondern als "tragend" und inspirierend wahrgenommen. Rotweine werden hingegen als aromatischer wahrgenommen, wenn Säuren und Gerbstoffe nicht das allgemeine Geschmacksbild dominieren.

Wer sich gern an die Empfehlungen der Experten halten möchte, findet die Empfehlungen nachstehend (diese können bei unterschiedlichen Quellen um das eine oder andere Grad abweichen).

Rotweine

  • fruchtige, junge Rotweine (z.B. Beaujolais (Primeur) - 12 bis 14 Grad Celsius
  • leichte Rotweine (bis ca. 10 %vol. Alkohol) - 14 bis 16 Grad Celsius
  • mittelkräftige und "Brot-und-Butter" Rotweine (bis ca. 11,5 %vol. Alkohol) - 16 bis 18 Grad Celsius
  • kraftvolle Rotweine mit einer höheren Qualitätsstufe - 18 Grad Celsius

Weißweine

  • liebliche und halbtrockene (höherer Restzuckergehalt) Weißweine - 6 bis 10 Grad Celsius
  • leichte und junge Weißweine (bis ca. 10 %vol. Alkohol) - 7 bis 10 Grad Celsius
  • frische und eher trockene Weißweine von einer höheren Qualitätsstufe - 9 bis 11 Grad Celsius
  • Reife und schwerere Weißweine - 11 bis 13 Grad Celsius

Roséweine

  • leichte unkomplizierte "Brot-und-Butter" Roséweine (bis ca. 11 %vol. Alkohol) - 8 bis 10 Grad Celsius
  • mittelschwere Roséweine (bis ca. 12,5 %vol. Alkohol) - 9 bis 12 Grad Celsius
  • kräftige Roséweine mit höherem Gerbstoffanteil (z. B. aus der Region Tavel) - 12 bis 14 Grad Celsius

Schaumweine

  • Sekt, Cava, Prosecco, Crémant und Champagner ohne Jahrgang - 5 bis 6 Grad Celsius
  • halbtrockene und liebliche Perl- und Schaumweine - 5 bis 7 Grad Celsius
  • trockene Perl- einfache Schaumweine (z. B. Rotkäppchen Sekt) - 5 bis 8 Grad Celsius
  • hochwertige Schaumweine (Winzersekt) und Jahrgangs-Champagner - 7 bis 10 Grad Celsius

Andere Weinarten

  • heller (weißer) Sherry - 4 bis 7 Grad Celsius
  • Sherry (Oloroso und Amontillado) - 8 bis 12 Grad Celsius
  • Sherry (Pedro Ximénez) - 13 bis 16 Grad Celsius
  • Gespritete Süßweine (z.B. Portwein) - 8 bis 10 Grad Celsius
  • trockener bis halbtrockener Madeira - 9 bis 12 Grad Celsius
  • süßer, reifer Madeira - 14 bis 18 Grad Celsius (je nach Restzuckergehalt und Reife)

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